„Sobald ich gerappt habe, ist deren Kinnlade auf dem Tisch und dann wissen sie auch nicht mehr, was sie sagen sollen“, belächelt die vietdeutsche Rapperin Nashi44 Menschen, die sie unterschätzen und versuchen, sie kleinzumachen. Die gebürtige Berlinerin bringt mit umwerfender Schlagfertigkeit, Witz und Schärfe ihre Lebensrealität zum Ausdruck und wurde selbst zu der asiatischen Künstlerin im deutschsprachigen Raum, nach der sie lange als Vorbild gesucht hat. Mit ihrer Musik schafft sie eine Projektionsfläche und einen Safe Space, der insbesondere für asiatische Frauen in Deutschland wertvoll ist, die mit Rassismus und Sexismus abrechnen wollen.
English version below.
Aufgewachsen als jüngste Tochter einer chinesischen Mutter aus Vietnam und eines deutschen Vaters wurde Nashi44 die Musik zwar nicht in die Wiege gelegt, doch den Weg zu ihr fand sie rasch und selbstbestimmt. Bereits in der Oberschule gründete sie mit einigen Klassenkamerad:innen eine Schulband - darunter auch Ivy Quainoo, die spätere Gewinnerin der ersten Staffel von The Voice of Germany. „Manchmal ging es halt darum, dass wir auch Hip-Hop-Songs gecovert haben und niemand wollte rappen – da war ich halt so: ‘Give me the Mic, ich mach es einfach’“, erinnert sich Nashi an ihre ersten Momente als MC.
Inspiriert durch ihre ersten Bühnenerfahrungen als Schülerin machte sich Nashi schließlich erst auf den Weg zum Gesangsstudium nach England, begann dann 2018 in der sächsischen Stadt Leipzig ein Studium im Bereich Jazz- und Popgesang. Dort, in einem Studium und einer Stadt, die größtenteils von weißen cishetero Männern geprägt wurde, fühlte sie sich jedoch zunehmend unwohl. Ihr Können wurde stets unterschätzt, belächelt, infrage gestellt. “Wenn Du ein weißer Typ bist, der [Musik] studiert, dann siehst Du die ganze Zeit Dich selber in den ganzen krassen Positionen, dass Du Professor werden könntest”, sagt sie heute. “Wenn Du Dich jedoch nirgendwo siehst, in Führungspositionen oder als Lehrer, dann zweifelst Du die ganze Zeit an Dir.” Doch obwohl die schmerzhaften Erfahrungen Nashi schließlich dazu bewegten, ihr Studium abzubrechen, brachten diese sie zugleich auch auf ihrem künstlerischen Weg weiter. Sie begann bereits in Leipzig, eigene Songs zu schreiben, in denen sie ihre Erlebnisse und ihre Wut verarbeitete. 2019 stand sie dann zum ersten Mal als Solo Act auf der Bühne und widmete sich im ersten Lockdown des darauffolgenden Jahres ganz ihrer Musik.
“Meine Musik spiegelt das wider, worüber ich mir Gedanken mache. Daher ist das, was ich mache, Conscious Rap. Natürlich geht auch um Money, aber da ist noch mehr Hinterfragung und Nachdenklichkeit.”
Ihrer Lebensrealität als vietdeutsche junge Frau entsprechend geht es in Nashi44s Texten viel um deutsch-asiatische Identität, Selbstbewusstsein, Sexualität und das Abrechnen mit und Verarbeiten von rassistischen und sexistischen Erfahrungen. Natürlich feiert sie sich auch mal selbst, wie es im Rap zum guten Ton dazu gehört - aber es geht eben nicht nur um Money, wie bei vielen chartstürmenden Künstler:innen des Deutschrap. „Ich hab gemerkt, ich selbst könnte diesen Rap gar nicht schreiben, weil ich von Grund auf selbst einfach auch über ganz andere Themen nachdenke“, erklärt sie. „Meine Musik spiegelt das wider, worüber ich mir Gedanken mache. Was ich mache, ist Conscious Rap. Natürlich geht es auch mal um Money, aber da ist noch mehr Hinterfragung und Nachdenklichkeit, so in Richtung J. Cole.“ Inspiration für ihre Musik findet Nashi vielerorts, darunter zum Beispiel unter Peers und Aktivist:innen online, zu denen sie sich verbunden fühlt, die ihre Erfahrungen teilen. Musikalisch orientiert sie sich vor allem am Hip-Hop und seinen verwandten Genres wie Soul und R&B. Als geübte Sängerin spinnt sie im Freestyle Melodien, die ihr gefallen, weiter und teilt regelmäßig auch spontane Eingebungen mit ihren Followern auf Instagram.
“Wenn allein schon der Beat von einer FLINTA* oder BIPOC ist, bin ich happy.“
Vielleicht gerade wegen ihrer Erfahrungen im Rahmen des Gesangstudiums in Leipzig sucht Nashi heute als Solokünstlerin ganz besonders den Kontakt und Kollaboration mit anderen FLINTA*. Ihr ist es nicht nur wichtig, in einem Safe Space zu arbeiten, sondern auch Chancen für andere FLINTA* und BIPOC zu schaffen. „Ich bin jedes Mal verzweifelt, wenn ich auf der Suche nach Producerinnen bin, die nicht cis-männlich und weiß sind“, sagt sie. „Wenn allein schon der Beat von einer FLINTA* oder BIPOC ist, bin ich happy.“ Dies spiegelt sich auch in den Credits ihrer ersten EP “Asia Box”, die im März dieses Jahres veröffentlicht wurde, wider. Die Songs sind größtenteils produziert von Spoke, eine:r non-binären Producer:in; ein weiterer Song ist von Producerin Mariybu, die auch selbst als Rapperin auftritt.
Der Musikvideo-Dreh für ihre Single „Suck On My Springroll” fand erstmals sogar in einem kompletten Safe Space für FLINTA* - darunter auch einige Women of Color - statt. “Es war magisch, wie in einer anderen Welt. Es hat eine unterschwellige Non-Aggressivität,” erinnert sich Nashi daran.
Zu Beginn ihrer Karriere war die vietdeutsche Berlinerin jedoch nicht immer von Gleichgesinnten umgeben. Als Rapperin wurde ihr besonders in den sozialen Netzwerken von vielen (meist männlichen und weißen) Nutzern auch Hass und Sexismus entgegengebracht. Als ihr Musikvideo zur ersten Single „Aus der Pussy“ auf TikTok viral ging, musste sie sich unter anderem mit Kommentaren wie „Geh zurück in die Küche“ und ähnlichen misogynen Lächerlichkeiten auseinandersetzen. „Vor allem, wenn eine Frau so unverblümt sagt, was sie denkt, sind viele Leute vor den Kopf gestoßen“, sagt Nashi. Außerdem fiel es ihr auf, dass gerade im Rap-Genre eine echte Vetternwirtschaft herrscht, in denen sich Männer überwiegend nur gegenseitig unterstützen: „Was mir aufgefallen ist, ist, dass weibliche Rapperinnen am Anfang viel, viel mehr Hate abbekommen. Und so wie ich das beobachtet habe, hat ein Rapper immer so 10 bis 20 männliche Freunde, die immer kommentieren. Bei Frauen drücken die eher runter. Ich denke einfach, dass manche Leute sich von dem, [was ich mache] eingeschüchtert fühlen - also Männer vor allem.“
„Vor allem, wenn eine Frau so unverblümt sagt, was sie denkt, sind viele Leute vor den Kopf gestoßen.”
Inzwischen hat sich Nashi jedoch mit ihrer Musik eine Plattform aufgebaut, auf der die Stimmen ihrer Fans und Unterstützer:innen viel, viel lauter sind, als die der Sexisten und Rassisten, die sich hinter ihren Bildschirmen und Tastaturen verstecken. Und auch auf der Bühne gibt Nashi den Ton an. Durch ihre Musik, die kein Blatt vor den Mund nimmt, treten fragwürdige Booker und Festivals in der Regel gar nicht erst an sie heran. Und wenn ihr Können vor dem Auftritt doch einmal aufgrund ihres Geschlechtes infrage gestellt wird, belehrt sie schnell eines Besseren: „Meist bei Konzerten sind Männer an der Technik und ich merke dann häufig, dass ich mich da beweisen muss. Aber sobald ich gerappt habe, ist deren Kinnlade eh auf dem Tisch und dann wissen sie auch nicht mehr, was sie sagen sollen”, sagt Nashi.
Dieses Selbstbewusstsein will sie mit ihrer Musik und ihrem Auftreten auch an andere weitergeben. Sie ist heute die starke vietdeutsche Musikerin, die sie sich als Kind vielleicht gewünscht hätte. Nashi44 gibt asiatisch-deutschen Frauen ein Ventil für ihre Wut und ihren Frust, schafft mit ihrer Kunst eine Community gleichgesinnter Schwestern und Allies. Vietdeutsche junge Frauen feiern gemeinsam mit ihren Eltern, wie sich die Berlinerin über die Frage nach ihrer Herkunft lustig macht, das Gegenmittel für Yellow Fever verabreicht und kampflustig mit Klischees abrechnet. “Ich hoffe, dass die Musik irgendwie was Neues schafft, sodass Leute daraus Kraft schöpfen können oder sich selber darin wiedersehen”, sagt sie selbst. Mit ihrer Musik hat sie sich ihren Platz in der Musikindustrie erkämpft, der für Generationen von unterrepräsentierten Vietdeutschen steht und gleichzeitig waschechte Berliner Vibes bietet. Neuen Künstlerinnen, die noch nach ihrem Platz in der Musik suchen, empfiehlt sie: “Finde Deine eigene Stimme und Deine Community. Das wird Dir auf lange Sicht den besten Rückhalt geben. Wenn Du weißt, wer Du bist und was Du sagen möchtest, dann ist es egal, wie viele Leute Dir sagen: Du kannst es nicht.”
NASHI44 (English version)
"As soon as I rap, their jaw drops, and then they don't know what to even say anymore," says Viet German rapper Nashi44 about those who underestimate her and try to belittle her. The Berlin-born rapper expresses the reality of her life with dazzling repartee, wit, and sharpness, and has herself become the Asian artist in the German-speaking world that she has long looked to as a role model. With her music, she creates a projection surface and a safe space that is especially valuable for Asian women in Germany who want to settle accounts of racism and sexism.
Growing up as the youngest daughter of a Chinese mother from Vietnam and a German father, Nashi44 was not born into music, but she found her way to it quickly and self-determinedly. In high school, she founded a school band with some classmates - among them Ivy Quainoo, the later winner of the first season of The Voice of Germany. "Sometimes it was just a matter of us also covering hip-hop songs and nobody wanted to rap - so I was just like, 'Give me the mic, I'll do it,'" Nashi recalls of her first moments as an MC.
Inspired by her first stage experiences as a schoolgirl, Nashi eventually set off to study singing in England, then began studying jazz and pop singing in the Saxon city of Leipzig in 2018. There, however, in a study and a city largely dominated by white cis-hetero men, she felt increasingly uncomfortable. Her skills were always underestimated, ridiculed, and questioned. "If you're a white guy studying [music], you see yourself all the time in all these blatant positions that you could be a professor," she says today. "But if you don't see yourself anywhere, in leadership positions or as a teacher, then you doubt yourself all the time." But although the painful experiences eventually led Nashi to drop out of her studies, they also moved her forward on her artistic path at the same time. She began writing her own songs while still in Leipzig, in which she processed her experiences and her anger. In 2019, she then stood on stage for the first time as a solo act and dedicated herself entirely to her music in the first lockdown of the following year.
"My music reflects what I'm thinking about. Therefore, what I do is Conscious Rap. Of course, it's also about money, but there's more questioning and thoughtfulness."
In keeping with the reality of her life as a young German woman, Nashi44's lyrics frequently cover the complexity of German-Asian identity, self-confidence, sexuality, and processing racist and sexist experiences. Of course, she also celebrates herself from time to time, as it is part of the good tone in rap - but it's not just about money, as is the case with many chart-topping artists in German rap. "I realized that I myself couldn't write this rap at all, because from the ground up I simply think about completely different topics myself," she explains. "My music reflects what I think about. What I do is conscious rap. Of course, it's also about Money at times, but there's more questioning and thoughtfulness, so in the direction of J. Cole." Nashi finds inspiration for her music in many places, including, for example, among peers and activists online, to whom she feels connected, and who share her experiences. Musically, she draws most of her inspiration from hip-hop and its related genres, such as soul and R&B. A skilled singer, she freestyle spins tunes she likes and also regularly shares spontaneous inspirations with her followers on Instagram.
"If just the beat is from a FLINTA* or BIPOC, I'm happy."
Perhaps because of her experiences during her vocal studies in Leipzig, Nashi today as a solo artist is especially looking for contact and collaboration with other FLINTA*. It is not only important to her to work in a safe space, but also to create opportunities for other FLINTA* and BIPOC. "I get desperate every time I'm looking for producers who aren't cis-male and white," she says. "If the beat alone is from a FLINTA* or BIPOC, I'm happy." This is reflected in the credits on her first EP, "Asia Box," released in March of this year. The songs are mostly produced by Spoke, a:r non-binary producer: in; another song is by producer Mariybu, who also performs as a rapper herself. The music video shoot for her single "Suck On My Springroll" even took place for the first time in an entirely safe space for FLINTA* - including some Women of Color. "It was magical, like being in another world. It has an underlying non-aggressiveness," Nashi recalls.
Early in her career, however, the Viet German Berliner was not always surrounded by like-minded people. As a female rapper, she also faced hatred and sexism from many (mostly male and white) users, especially on social media. When her music video for her first single "Out of Pussy" went viral on TikTok, she had to deal with comments such as "Go back to the kitchen" and similar misogynistic ridicule, among others. "Especially when a woman says what she thinks so bluntly, a lot of people are put off," Nashi says. It also struck her that there's real nepotism in the rap genre in particular, where men predominantly just support each other. "I noticed that female rappers get much, much more hate in the beginning. And the way I've observed it, a rapper always has something like 10 to 20 male friends who always comment. With women, they tend to push down. I just think some people feel intimidated by [what I do] - so men especially."
"Especially when a woman is so blunt about what she thinks, a lot of people are put off."
In the meantime, however, Nashi has built a platform with her music where the voices of her fans and supporters: inside are much, much louder than those of the sexists and racists hiding behind their screens and keyboards. And Nashi also sets the tone on stage. Because of her music, which tends to unapologetically express her views, questionable bookers and festivals usually don't even approach her. And if her skills are questioned before the gig because of her gender, she quickly proves them wrong: "Most of the time at concerts, there are men on the technical side and I often realize that I have to prove myself. But as soon as I've rapped, their jaws are on the table anyway, and then, they don't know what to say either," says Nashi. She wants to pass on this self-confidence to others with her music and her appearance. Today, she is the strong Viet German musician she might have wished to be as a child. Nashi44 gives Asian-German women an outlet for their anger and frustration, creating a community of like-minded sisters and allies with her art. Viet German young women celebrate together with their parents as the Berlin-based artist pokes fun at the question of their origins, administers the antidote for Yellow Fever, and pugnaciously settles scores with clichés. "I hope that the music somehow creates something new so that people can draw strength from it or see themselves in it again," she says herself. With her music, she has carved out her place in the music industry, representing generations of underrepresented Viet Germans while also offering genuine Berlin vibes. To new female artists still searching for their place in music, she advises, "Find your own voice and your community. That will give you the best support in the long run. If you know who you are and what you want to say, then it doesn't matter how many people tell you: you can't."